Beziehung ist kein „Nice-to-have“

 Wenn ich an meine eigene Schulzeit zurückdenke, kommen mir vor allem meine Lehrpersonen in den Sinn, selten ein Lerninhalt. Insbesondere meine Lehrerin der 3. / 4. Klasse erscheint dann in meinen Erinnerungen. Ich erinnere mich dann an ihren Töff, an ihre Tattoos und vorallem, an die vielen Spiele im Unterricht. An fachliche Inhalte kann ich mich kaum erinnern. Erklären lasst sich das dadurch, dass sie mit uns SchülerInnen eine Beziehung aufbauen konnte.

 Auch als Lehrerin und Heilpädagogin ist es auch mir ein grosses Anliegen mit den Kindern in eine Beziehung zu treten. In meinem Studium habe ich gelernt, dass positive Beziehungen keine nette Ergänzung zum Unterricht sind – sie sind eine zentrale Voraussetzung dafür, dass Lernen überhaupt gelingen kann. Im Schulalltag konnte ich erleben, dass Kinder, die sich gesehen und ernstgenommen fühlen, besser lernen. Ausserdem verzeihen sie so auch den Lehrpersonen den eine oder anderen Fauxpas, was manchmal durchaus hilfreich sein kann .

 

Lernen ist mehr als Wissensvermittlung

Die Forschung zeigt seit Jahrzehnten, dass Lernen nicht nur ein kognitiver, sondern auch ein emotionaler und insbesondere auch ein sozialer Prozess ist. Robert Pianta, ein Bildungsforscher, stellte schon Ende der 1990er fest, dass die Qualität der Lehrer-Schüler-Beziehung entscheidend dafür ist, ob und wie Kinder ihr Potenzial ausschöpfen können. Kinder, die sich unterstützt und respektiert fühlen, zeigen nicht nur bessere schulische Leistungen, sondern entwickeln auch mehr Motivation und Ausdauer.

Nun stellt sich die Frage, was denn eine gute Lehrer-Schüler-Beziehung ausmacht. Dazu mehr später in diesem Text.

 

Was die Wissenschaft dazu sagt:

Bindung und Sicherheit als Basis

John Bowlby und Mary Ainsworth (BildungstheoretikerIn) beschreiben, dass Kinder besser lernen, wenn sie sich sicher fühlen. Dies bezieht sich nicht nur auf die Schule, sondern auf das ganze lernen allgemein. Neben den Erziehungsberechtigten können Lehrpersonen zu wichtigen Bindungspersonen werden. Wer sich in der Schule aufgehoben fühlt, ist eher bereit, Risiken einzugehen, Fragen zu stellen und Neues auszuprobieren. In der Schule müssen sich Kinder immer wieder exponieren, insbesondere dann, wenn etwas Neues gelernt wird. Ich denke nun also, dass es Aufgabe der Lehrpersonal ist, diese Atmosphäre im Schulalltag herzustellen.

Das Gehirn lernt in Beziehung

Auch die Neurowissenschaft forscht in diese Richtung und so hat man herausgefunden, dass emotionale Sicherheit das Gehirn buchstäblich „öffnet“. So arbeitet der präfrontale Cortex, zuständig für Planung und Problemlösung, besser, wenn man sich wohlfühlt. So funktioniert es natürlich auch umgekehrt, Stress oder Angst können das Lernen blockieren. Ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel (wird durch Stress vermehrt ausgeschüttet —> Folge 16) kann das Gedächtnis und die Aufmerksamkeit hemmen. Oder einfacher gesagt: Wer Angst hat, denkt schlechter. Nun kann man sich vorstellen, wie wichtig dieses Wissen für das Lernen im Schulzimmer ist. Stress kann auch ausgeschüttet werden, wenn man sich nicht wohl, verstanden oder ernst genommen fühlt. Diese oder ähnliche Erfahrungen machen viele Kinder.

Wie Beziehung das Lernen konkret fördert 

Bei positiven Beziehungen zeigen Kinder mehr Engagement, haben weniger Verhaltensprobleme und bleiben ausserdem, länger motiviert.

  1. Motivation und Engagement
    John Hattie, der sehr viele Studien zu Lernerfolg ausgewertet hat, beschreibt Lehrer-Schüler-Beziehungen als einen der stärksten Einflussfaktoren überhaupt. Kinder lernen lieber und intensiver, wenn sie spüren: „Diese Person glaubt an mich.“

2. Emotionale Sicherheit und Risikobereitschaft

Fehler sind wichtig fürs Lernen – aber nur, wenn man sich traut, sie zu machen. Eine gute Beziehung schafft einen Raum, in dem Kinder experimentieren können, ohne Angst vor Bloßstellung.

 3. Selbstwirksamkeit

Wenn Lehrpersonen Interesse zeigen und echte Rückmeldungen geben, wächst das Vertrauen der Kinder in die eigenen Fähigkeiten. Sie erleben: „Ich kann etwas bewirken.“

 4. Resilienz

Eine stabile Bezugsperson in der Schule kann für Kinder, die zu Hause Belastungen erleben, ein entscheidender Schutzfaktor sein. Die bekannte Langzeitstudie von Werner & Smith (2001) zeigt: Resiliente Kinder hatten fast immer mindestens einen Erwachsenen, der an sie geglaubt hat. Diese Funktion kann auch eine Lehrperson übernehmen.

 

Was bedeutet das nun für Lehrpersonen und / oder Eltern

Für Lehrpersonen

  • Verlässlichkeit schaffen: Klare Strukturen und nachvollziehbare Regeln geben Sicherheit.
  • Echtes Interesse zeigen: Ein kurzes Gespräch über das Lieblingshobby kann mehr bewirken als eine perfekt gestaltete Unterrichtseinheit.
  • Fehlerkultur pflegen: Fehler nicht nur erlauben, sondern als Lernchance sichtbar machen.

Für Eltern

  • Interesse an Beziehungen zeigen: Nicht nur fragen „Was hast du gelernt / gemacht?“, sondern auch „Mit wem hast du heute gerne gearbeitet?“, oder „Was ist dir heute besonders gut gelungen?“.
  • Zusammenarbeit zur Lehrperson suchen: Ein offenes Gespräch mit Lehrpersonen fördert Vertrauen – und damit auch die Lernbereitschaft der Kinder. Kinder merken sehr gut, welches Verhältnis die Eltern zu den Lehrpersonen haben und kopieren dies.
  • Beziehung vor Leistung setzen: Kinder spüren, wenn Zuneigung nicht an Noten gekoppelt ist.

 

 Wie kann man in der Schule eine gute Beziehung aufbauen?

Aufgrund meiner persönlicher Erfahrung kann ich folgende Punkte empfehlen. Mit haben sie geholfen, mit den Kindern in Beziehung zu treten.

  1. Echtes Interesse zeigen: Mit den Kindern kurze Gespräche über Hobbies, Ereignisse usw. führen. Dabei kann man auch den Kinder etwas persönliches über eigene Erfahrungen oder Erlebnisse erzählen. Ausserdem sollten die Kinder ernst genommen werden.
  2. Humor: Gemeinsam über Witze oder lustige Situationen lachen verbindet. Das kann auch mal etwas sein, das der Lehrperson schief gelaufen ist.
  3. Verlässlich sein: Abmachungen und Regeln einhalten und klar kommunizieren. Dazu gehört faires Handeln. Kann man als Lehrperson eine Regel oder eine Abmachung nicht einhalten, kann man dies klar kommunizieren.
  4. Gemeinsame Erfolge feiern: So müssen auch alle Erfolge machen können. Diese Erfolge / Fortschritte sollen sichtbar sein.
  5. Kooperatives Handeln: Kinder in Entscheidungen einbeziehen, so fühlen sie sich selbstbestimmt. Es fördert Respekt und Eigenverantwortung.

Es gibt noch viele weitere Punkte, aber das sind meiner Meinung nach die Wichtigsten.